Sonntag, 9. Februar 2014

Mit dem Bus gen Leben


Picture by Angelica Blick
38 Tage später und im Grunde genommen beginnt es genau dort, wo es in naiv positiver Erwartung auf etwas Neues geendet hat. Der 1. Januar ist für alle Optimisten und Hoffnungsvollen unter uns ein symbolisches Ritual, jährlich dem Neuanfang gestärkt und motiviert entgegenzureiten. Neu auferlegte Tugenden vom ausgeklügelten Gegenschlag, das zukünftige Tun zu optimieren. Der 1.1. dient als visuelle Inspiration, das Leben beim Schopf zu packen und gründlich zu entrümpeln. In der Praxis bedeutet dies, fortan ins Fitnessstudio zu gehen, diszipliniert zu sein, die Schokolade als Feind zu betrachten, emotionale Unabhängigkeit zu erlangen, mit dem Rauchen aufzuhören, den Liebeskummer Liebeskummer sein zu lassen und endlich die verdammten Scheuklappen aufzusetzen und nach vorn zu blicken. Wenn du gehst, blicke niemals zurück. Es geht darum, alte Laster loszuwerden. In der Schönen neuen Welt. Ab morgen. Wenn diese Schachtel leer ist.

Es mögen oberflächliche, aüßerlich kontroverse Einflüsse sein, welche unsere zarten Geister und Gemüter dazu drängen, endlich dem Idealbild der Gesellschaft zu entsprechen, endlich zu leisten, endlich anders zu sein. Es mag das innere Verlangen sein, einen Ausweg in Richtung Freiheit zu finden, fernab der vorgelebten Hauptstraße. Abseits jeglicher Vernunft. Den Kampf gegen das Fernweh gewinnen oder zu verlieren. Den sich festgebissenenen Mikrokosmos anderer zu sprengen. Die kleine Welt im eigenen Köpfchen neu aufzubauen. Mögen es auch die falschen Gründe sein, der falsche Zeitpunkt, sei es bloß der Drang zum Neujahr, offensichtlich manipuliert vom Unterbewusstsein unserer Epoche. Sei`s drum. Veränderungen sind gut, Langfristige noch besser.

Gerade mal drei Stunden sind vergangen, mein geschmiertes Fahrtproviant macht sich bereits auf den Weg zur Verdauung, die Kekspackung nähert sich dem Ende. Der Busfahrer verabschiedet ein paar Fahrgäste am Nürnberger Hauptbahnhof. Neue Menschen steigen hinzu. Jeder von ihnen hat eine Geschichte zu erzählen, ein eigenes Päckchen zu tragen. Während ich versuche, über meine eigenen Seelenpakete nachzudenken, erkunde ich das kalte Deutschland da draußen und schlafe mit dem Kopf gegen das Fenster gelehnt wieder ein. Busfahren ist wie ein Sprung in die Vergangenheit. Schön war es früher im Kinderwagen zu liegen und in den Schlaf geschaukelt zu werden. Sorgenfrei und voller Lebensmut. Heute ist Schlafen wie eine befreiende Therapie. Um die Sorgen zu vergessen und neuen Mut zu schöpfen. Das Ungewisse ist dort draußen. Ich bin hier drin. Es sind wiederholte drei Stunden vergangen. Nächster Halt München. Endstation Wintersport. Einer meiner großartigen Vorsätze in diesem Jahr. Als bekennender Winterhasser und Kälteablehner ein idealer Zeitpunkt, sich Veränderungen zu stellen. Ein erster Schritt in Richtung neues Spiel neues Glück. 2014 wird zu einem lebendigen russisches Roulette. Öffnet sich eine Tür, so schließt sich vielleicht die Nächste. Fallen, aufstehen, wieder fallen, darauf scheißen, aufstehen. Da steh ich also. Auf Anfängerbrettern, die die Welt bedeuten. Mein "neues" abenteuerliches Leben beginnt mit der Überwindung, sich eine Piste herunterzustürzen. Tolle Idee. Meine Motivation ausgelöst von Panik, Idealen und dem Drang etwas zu finden. Doch was genau? Keine Ahnung. Liebe? Glück? Zufriedenheit? Ready or not, you can`t hide. Sprach Lauryn, verinnerlichte es und wanderte wegen Steuerhinterziehung drei Monate ins Gefängnis.

Verstecken funktioniert nicht. Es bewahrheitet sich im Rückblick vieler großer und kleiner Krisen, in denen ich mir einredete, unter der Bettdecke nicht gefunden zu werden und einfach darauf zu warten bis irgendwann der Endboss kommt. Doch leg dich nicht mit deinem Leben an, es ist geduldig und brutal. Gegönnt sei dir, dir eine Auszeit zu nehmen, dich mit übermäßigem Rotweinkonsum in Selbstmitleid zu stürzen, die Leere in dir mit gestilltem Fernweh zu kompensieren. Zu flüchten. Irgendwann kehren wir zurück. Aus Angst. Heimweh. Mut. Rebellion. Neugier. Intelligenz. Und steigen in einen Bus gen Süden. Was ich an jenem sonnigen Wintertag in Scheffau/ Tirol fand, war die Liebe zu den Bergen, das Glück, nicht den Abhang heruntergestürzt zu sein und die Zufriedenheit darüber, wahrscheinlich als eine von Wenigen nicht in den Bus gekotzt zu haben. 50 Euro Kotzpauschale erschien mir dann doch als rausgeschmissenes Geld. Die Mission Skifahren galt für mich als eine Art symbolischer Start in das neue Jahr. Ein Neuanfang in 2000 Meter Höhe, unabhängig von auferlegten Konventionen und der Präsenz Anderer. Somit zähle ich mich also auch zu jenen, sagen wir, verbalen Arschtrittkindern. Steig ein. Fahr los und dein Leben hat dich wieder.


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